Der Knabenchor des Doms zu Riga gilt als einer der renommiertesten Chöre Lettlands. Auf Einladung der Regensburger Domspatzen nimmt der „Riga Cathedral Boys Choir“ beim Festival JUNGE STIMMEN in Regensburg (28.–30.3.25) teil. Domspatzen-Chormanagerin Christina Ostrower sprach mit Geschäftsführerin Ilze Baumane über die Tradition des Chorgesangs in Lettland und die Historie ihres Knabenchors.
Frau Baumane, wir freuen uns auf Ihr Kommen. Welche Tradition hat Chorgesang in Ihrer Heimat?
Baumane: Singen ist bei uns ein tief verankertes Lebensgefühl. Das wollen wir mit unserem Chor kultivieren. Es gibt in Lettland eine große Tradition des Chorgesangs, die wir für die junge Generation erhalten wollen. Unser Chor feiert in diesem Jahr 75. Geburtstag. Das ist uns Verpflichtung, diese Tradition weiterzuführen. Unsere Chorarbeit ist ein Prozess des ständigen Lernens unter der Anleitung professioneller Lehrer und muss höchsten Ansprüchen genügen. All das mündet in qualitativ hochwertige Aufführungen.
Erzählen Sie uns mehr über Ihren Chor, der an einer Schule beheimatet ist.
Baumane: Die „Riga Cathedral Choir School“ ist seit 1994 eine staatliche Kulturinstitution in unserem Land. In der Nationalen Schule der Künste sind vier Kunstschulen zu einer einzigartigen Sekundarschule auf europäischem Niveau vereint: Für begabte Kinder ist das die Möglichkeit, ihr Talent im Bereich der Vokalmusik von klein auf zu entwickeln. Unsere Chorschule ist eine davon. Hier haben die Kinder die Möglichkeit, bereits im Alter von vier Jahren mit der Ausbildung zu beginnen, während die traditionellen staatlichen Schulen drei Jahre später starten. Die Jungen belegen musische Fächer wie Chorgesang, Sologesang und Gehörbildung, lernen Klavier und eventuell ein weiteres Instrument und bekommen dafür auch Noten. Nach ein paar Jahren können sie als Sopran oder Alt in den Knabenchor eintreten. Unsere Chorsänger sind alle im Alter zwischen 9 und 14 Jahren.
Und nach dem Stimmbruch?
Baumane: In der Oberstufe können sie zwischen vier verschiedenen Richtungen wählen. Es gibt eine Abteilung für Chorleitung, eine Abteilung für Sologesang, aber auch Jazz und Musical werden angeboten. Insgesamt haben wir an der Schule vier Chöre. Neben dem Knaben- noch einen Mädchenchor, einen gemischten Oberstufenchor und einen Gospelchor, jeder mit seinem eigenen Repertoire. Die älteste Tradition und das größte Ansehen hat jedoch der Knabenchor, dessen Ursprung auf den Domchor im 16. Jahrhundert zurückgeht.
Singt Ihr Chor eher weltliches oder sakrales Repertoire?
Baumane: Unsere Chöre sind eher Schul- als Kirchenchöre. Deshalb singt unser Knabenchor auch viel seltener im Dom als Ihre Domspatzen, vielleicht zweimal im Jahr. Wir geben stattdessen viele Konzerte im ganzen Land. Das sind Konzerte in Schulen, Kirchen und Konzertsälen, Oster- oder Weihnachtskonzerte, mal a cappella, mal mit Orchester. Wir wirken mit bei Opernproduktionen der lettischen Nationaloper, bei Mozarts „Zauberflöte“ zum Beispiel, Puccinis „Tosca“ oder Bizets „Carmen“. Wir nehmen an Schultheateraufführungen und Musicalproduktionen teil, auch bei Festivals in Lettland, etwa dem Riga-Musikfestival, dem Ostermusikfestival, dem Festival für Alte Musik und dem Weihnachtsfestival. Gerade weil Chorgesang bei uns eine so lange Tradition hat, veranstalten wir alle fünf Jahre ein Liederfestival, bei dem bis zu 15.000 Chorsänger aus allen Teilen des Landes gleichzeitig auf der Bühne stehen. Dieses Festival wurde 2003 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen.
Der Riga Cathedral Boys’ Choir ist dabei der renommierteste Knabenchor des Landes?
Baumane: Das kann man definitiv so sagen. Er singt auf absolut höchstem Niveau. Hier spielt sicher der frühe Ausbildungsbeginn eine Rolle. Wir tauschen uns regelmäßig mit ähnlich organisierten Chorschulen in Dänemark und England aus, um die hohe Qualität der Ausbildung zu gewährleisten. Jedes Jahr bewerben sich rund je 80 Jungen und Mädchen. Weil unsere Schulräume alt sind und der Raum begrenzt ist, können wir pro Jahr nur je zehn Jungen und Mädchen aufnehmen. In diesem Jahr beginnen wir mit der Sanierung unserer Schule. Danach haben wir hoffentlich mehr Platz für neue Chorsänger und -sängerinnen.
Finanziert sich der Chor durch seine Konzerte?
Baumane: Unsere Chorschule ist staatlich und deshalb kostenlos für die Kinder und Jugendlichen. Die Chöre sind in Vereinen organisiert, die sich um Auftrittsmöglichkeiten, Spenden und Sponsoren kümmern. In diesen schwierigen Zeiten ist das natürlich alles viel komplizierter. Nicht nur vor dem Krieg in Europa, der von Lettlands Nachbarn Russland begonnen wurde, sondern auch vor Corona waren Konzertreisen viel einfacher zu organisieren. Wir erhielten Einladungen zu Chorfestivals, und die Organisatoren übernahmen unsere Kosten. Das hat sich radikal geändert. Wir müssen uns umstellen und selbst Geld aufbringen, auch für unser Jubiläumskonzert im April. Wir bekommen oft staatliche Zuschüsse, aber nicht immer – wir sind schließlich nicht die einzigen. Auch unsere Reise nach Regensburg wird diesmal nicht aus dem staatlichen Kulturfonds finanziert. Deshalb organisieren wir ein Crowdfunding.
Der Riga Cathedral Boys Choir ist ein so erfolgreicher Botschafter Lettlands. Sie haben sogar schon im Weißen Haus gesungen: Es gibt ein Bild mit der damaligen First Lady Michelle Obama…
Baumane: Die Kinder sind immer sehr stolz, ihr Heimatland im Ausland zu repräsentieren. Wir sind der einzige professionelle lettische Chor, der in der Royal Albert Hall in London aufgetreten ist. Ganz Lettland ist stolz auf uns, wenn wir im Ausland auftreten: in Europa, Amerika oder Japan. Trotzdem haben wir diesmal keine Unterstützung bekommen. Aber es sind eben andere Zeiten, Kriegszeiten.
Wie bekommt der Chor das zu spüren?
Baumane: Unser Publikum vergleicht die Stimmen der Chorsänger oft mit dem Gesang der Engel. Lasst uns für den Frieden singen! Wir haben 50 Jahre lang unter sowjetischer Herrschaft gestanden und wissen, dass das Wichtigste Frieden, Freiheit und Unabhängigkeit ist. Lettland unterstützt die Ukraine mit Geld, Spenden und Logistik. Wir verstehen die Tendenz des Landes, die Mittel für die Verteidigung zu erhöhen. Mit 3,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt Lettland auf Platz 4 unter allen NATO-Mitgliedstaaten. Unser künstlerischer Leiter Mārtiņš Klišāns gehörte zu den Dirigenten, die am ersten Tag des großen Krieges mit ihren Chören an einem Wohltätigkeitskonzert in Riga teilnahmen, das der Unterstützung der Ukraine gewidmet war – das war sehr bewegend.
Steht schon fest, mit welchem Programm Sie nach Regensburg reisen?
Baumane: Es wird auf jeden Fall eine spannende Mischung! Wir werden Teile aus John Rutters „Magnificat“ und Händels „Messias“ singen, genauso dabei sein wird Musik von John Tavener und andere zeitgenössische geistliche Musik. Und natürlich werden wir mit Werken lettischer Komponisten zeigen, wie unsere Heimat klingt. Wir freuen uns sehr, dabei zu sein!
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Riga Cathedral Boys Choir
Der Knabenchor wurde 1950 in Riga gegründet und besteht seit 1994 als Chor der „Riga Choir School“. Der 60-köpfige Chor hat zahlreiche CDs aufgenommen und wurde mehrfach mit dem Großen Musikpreis, dem wichtigsten Kulturpreis des Landes, ausgezeichnet. Der „Riga Cathedral Boys’ Choir” trat 2006 beim NATO-Gipfel in Riga auf und unternahm in den vergangenen Jahren etliche Konzertreisen nach Frankreich, Japan, Deutschland und in die Schweiz, wo der Chor beim Luzern Festival auftrat. 2010 feierte der Chor sein 60-jähriges Bestehen mit einem Auftritt im Weißen Haus in Anwesenheit von Barack und Michelle Obama. Alle Information zum Chor unter: https://rdzk.lv
